An diesem Freudentag, dem Tag, an dem Sie Ihre rabbinische Autorisation erhalten, haben Sie sich gewiss die Herausforderungen und höheren Ziele vor Augen gehalten, die jetzt in Ihrem neuen Lebensberuf vor Ihnen stehen. Sie betreten nunmehr einen Weg – den Weg der Tora – den schon Ihre Vorfahren gingen, und für den Sie hier im Rabbinerseminar ausgebildet wurden. Mit Ihnen freuen sich auch Ihre geschätzten Rabbiner und Lehrer.

In den folgenden kurzen Worten möchte ich Ihnen das geistige Vermächtnis meines verehrten Urgroßvaters, Rabbi Asriel Hildesheimer, vor Augen führen, dessen Namen das hiesige Rabbinerseminar trägt und dessen Geist es fortführt.

Nicht lange nach seiner Ankunft in Berlin, im Jahre 1870, eröffnete Rabbiner Hildesheimer eine Religionsschule. In seiner Einweihungsrede sagte er u.a.:

Unser Streben und das Ziel unseres Wirkens sei die Verbreitung des Judentums unter den Juden. Mit anderen Worten, die Verbreitung des Toralernens um seiner selbst willen, ohne auf Lohn zu hoffen; getragen vom unbegrenzten Glauben an die heiligen Pflichten, die uns auferlegt sind, ohne jeglichen Zweifel. Und ebenso die Rückführung der jungen Generation zu ihrem Vater im Himmel.

Die Ausschöpfung sämtlicher Fähigkeiten auf allen Gebieten für den Dienst an G-tt in allen Einzelheiten und Details, begleitet von profundem Torastudium, und vor allem von persönlichem Vorangehen mit gutem Beispiel – dies sind die Werte, die der Gründer des Rabbinerseminars vermittelte, und dies sind auch die Werte, in deren Geist das Institut während der ganzen Jahre seines Bestehens geleitet wurde.

Das Idealbild des Rabbinats und seiner Inhaber kommt sehr schön in dem Bibelvers zum Ausdruck, der zum Motto des Rabbinerseminars bestimmt wurde: „Auf all‘ deinen Wegen erkenne ihn [G-tt], und er wird deine Wege gerade machen“ (Sprüche 3,6). In einem seiner Briefe zitiert Rabbiner Hildesheimer diesen Vers im Zusammenhang mit einem Ausspruch des Talmuds (Berachot 63a): Hier nennt Bar Kappara diesen Vers als ein Beispiel für einen kleinen Tora-Abschnitt aus dem sich sämtliche Vorschriften der Tora ableiten lassen. Er legt aus: „Auf all deinen Wegen“ besagt, dass überall wo man sich gerade befindet und bei allem was man gerade tut, man für Gott und seine Lehre wirken soll.

In der Tat war es diese Lehre des Lebens, die das Wesen der Schüler des Rabbinerseminars formte. Vor 81 Jahren, im Jahre 1929, hielt mein seliger Vater, Rabbi Asriel Hildesheimer, als einer der damals zum Rabbiner autorisierten Absolventen eine Ansprache. Seine Worte baute er auf folgendem Vers auf: “ Morgen, da wird G-tt kundtun, wer sein ist und wer heilig ist, dass er ihn zu sich nahen lasse; und wen er erwählt, den wird er zu sich nahen lassen “ (Numeri 16,5). Hier ein kurzes Zitat aus seinen Worten:

Sie gaben uns das Allerbeste mit […], wärmten unser Herz mit echter G-ttesfurcht […]. So ausgerüstet kämpfen wir für G-ttes Wort. Unsere Gebete erheben sich zum Allmächtigen, dass wir auserwählt sein mögen, dazu beizusteuern. “ Morgen, da wird G-tt kundtun „, d.h. wenn die Morgenröte aufsteigt, nämlich die Morgendämmerung des reinen Judentums, dann mögen wir die Ankündiger sein, dass der G-tt Israels lebt und existiert, und zwar in Bälde, in unseren Tagen.

Die soeben zitierten Worte passen hervorragend auch für unsere heutige Feier. Die „Morgenröte“ wird in Kürze auch Ihren Pfad erleuchten, damit Sie furcht- und bedenkenlos für G-tt wirken können.

Geehrte Absolventen! Womit soll ich Sie segnen? Gebe G-tt, dass sich an Ihnen der Segenswunsch von Rabbi Jizchak Elchanan Spektor erfüllen möge, der sich in einem Empfehlungsschreiben von ihm für das Rabbinerseminar findet (1879):

Wir hegen die Hoffnung, dass aus dieser prachtvollen Jeschiwa Schüler hervorgehen, die stets auf die anerkannten rabbinischen Autoritäten hören und deren G-ttesfurcht ihre Weisheit noch übertrifft; Schüler, die in ganz Aschkenas toratreue Setzlinge pflanzen werden. Es kann kein größeres Vergnügen und keine größere Freude geben als das ewige Bestehen unserer heiligen Lehre. Möge G-tt uns seine Wunder zeigen!

Und Ihr, edle Streiter G-ttes, steigt empor auf dem Weg, der zum Ewigen hinaufführt, begleitet vom Segen Eurer Rabbiner und Lehrer sowie all derer, die Euch schätzen und verehren.

Herzlichen Glückwunsch, ein gutes neues Jahr sowie כוח“ט !

Deutsche Übersetzung der Rede, die Prof. Meir Hildesheimer in Hebräisch gehalten hat

– Es gilt das gesprochene Wort –