1873-1938
Das Rabbinerseminar zu Berlin war bis zu seiner Schließung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 die wichtigste Lehreinrichtung zur Ausbildung orthodoxer Rabbiner in Deutschland. Im Geiste ihres Gründers, Rabbiners Dr. Esriel Hildesheimer, vermittelte die Institution ihren Studenten sowohl die Inhalte und Werte des traditionellen Judentums, als auch die didaktischen Fähigkeiten, diese zeitgemäß weiterzugeben.
Im Oktober 1873 wurde das Rabbinerseminar zu Berlin als Ausbildungsstätte für orthodoxe Rabbiner von Rabbiner Esriel Hildesheimer gegründet. Hildesheimer war erst wenige Jahre zuvor aus Eisenstedt nach Berlin gekommen, um als Rabbiner der Adass-Jisroel Gemeinde zu dienen. Er kam mit der Vision, in Berlin eine Talmudhochschule für die Berufsausbildung von Rabbinern zu gründen.
Bei der Eröffnung der Institution bestand der Lehrkörper aus dem Rektor, Dr. Esriel Hildesheimer und zwei Dozenten: Dr. David Hoffmann unterrichtete Talmud, jüdische Rechtssprechung und Pentateuchauslegung und Dr. A. Berliner nachtalmudische Geschichte und Literaturgeschichte. Einige Monate nach der Gründung wurde dazu noch Dr. Jacob Barth als Lehrer für Hebräisch, Bibelexegese und religiöse Philosophie an das Rabbinerseminar berufen.
Rabbiner Hildesheimer und die Dozenten des Seminars prägten von Anfang an die Ausrichtung der Einrichtung. Sie waren nicht nur große Torahgelehrte, sondern gleichzeitig auch ausgezeichnete Wissenschaftler mit weitreichender akademischer Bildung. Sie verstanden es, der jüdischen Tradition treu zu bleiben, sich aber gleichzeitig den Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen und ihren Schülern die Relevanz des jahrtausendealten jüdischen Wissens, das sie unterrichteten, zu vermitteln.
In den wenigen Jahrzehnten der Existenz des Seminars bis zu der zwangsweisen Schließung im Anschluss an den 10. November 1938 lernten hier rund 600 Studenten. Sie kamen aus ganz Europa nach Berlin, um am Hildesheimer’schen, wie das Seminar häufig genannt wurde, zu lernen. Die Bedeutung der Einrichtung, die schnell zur wichtigsten Lehrstätte der Orthodoxie im deutschsprachigen Raum anwuchs, ist kaum zu unterschätzen. Sie beeinflusste die traditionelle jüdische Welt dabei nicht allein in Deutschland. Viele der Absolventen waren später in ganz Europa, Amerika und Israel tätig und haben das jüdische Denken dort weiter geprägt.
Das Studium am Rabbinerseminar zu Berlin
Das Studium am Rabbinerseminar zu Berlin umfasste Talmud, Tanach, Midrash, Philosophie, Pädagogik und biblische Geschichte. Besonders wichtig war Rabbiner Hildesheimer dabei von Anfang an die Ausbildung der Studenten zu Rabbinern, die die Zukunft des Torahtreuen Judentums in Deutschland sichern können. Der Lehrgang war auf ein Studium von 5 – 6 Jahren ausgelegt. Zugelassen wurden Kandidaten, die die notwendigen Vorkenntnisse u.a. in der Behandlung talmudischer Texte sowie mindestens das Abitur bzw. die Zulassung zur Abschlussklasse eines Gymnasiums besaßen. Am Ende des Kurses legten die Absolventen spezielle Prüfungen ab, welche darlegten, dass sie nicht nur umfangreiche Kenntnis im Studium der klassischen jüdischen Quellen erworben hatten, sondern auch ausreichend mit den rituellen Praktiken vertraut waren und sowohl rituelle, als auch religionsrechtliche Fragen beantworten konnten.