Megillat Esther, das Purimspiel der Purimspiele

happy-purimvon Mendel Itkin

Die Megillat Esther ist voll von Witz, Parodie, Anspielung und Übertreibung; wie eine Komödie von Molière oder Shakespeare, mit karikaturhaften Charakteren und lächerlichen Situationen. Wir können das Buch Esther besser verstehen, wenn wir uns bewusstmachen, dass es tatsächlich ein lustiges Buch sein sollte.

Zwei dramaturgische Elemente sind Ironie und Übertreibung.

 

Ironie bedeutet, dass der Leser oder Zuschauer einen bestimmten Verlauf erwartet, jedoch das Gegenteil davon geschieht. Für den Leser entsteht Humor im dem Moment, in dem er auf solch einen Widerspruch stößt.

Ein Beispiel hierfür ist die folgende Situation:

Der König Achaschwerosch fragt Haman was dem Mann anzutun sei, dessen Ehrung der König im Sinne hat. Der selbstsüchtige Haman denkt selbstverständlich, dass der König ihn selbst ehren möchte und schlägt ihm ein ganzes Prozedere vor, das alle sehen sollen. Doch der Schock kommt sobald Haman erfährt, dass der König eigentlich Mordechai, seinen Erzfeind, im Sinne hat. Man spürt wie Haman das Blut in den Adern gerinnt.

 

Hinsichtlich des Elements der Übertreibung lesen wir, wie Haman depressiv und schwer betrübt ist, weil Mordechai es verweigert, sich vor Haman zu verbeugen. Daraufhin lässt Haman im Hinterhof seines Hauses einen Galgen bauen, der für Mordechai bestimmt ist. Die Höhe des Galgens beträgt 50 Ellen.

50 Ellen sind umgerechnet ca. 20 Meter. Der Galgen war also in etwa so hoch wie ein siebenstöckiges Gebäude. Im Vergleich dazu war Salomos Tempel nur 13 Meter hoch.

Nun stellt euch vor wie dieses Bauwerk in Hamans Hinterhof steht. Es musste wohl alles in der Stadt Befindliche überragt haben und konnte von überallher gesehen werden, in etwa wie der Fernsehturm am Alexanderplatz.

Doch Hamans Plan wurde vereitelt und er fiel in die Grube, die er selbst gegraben, beziehungsweise er wurde an den Galgen gehängt, den er selbst gebaut hatte.

 

Die Charaktere im Buch Esther sind sehr komplex. Jede einzelne Persönlichkeit hier zu analysieren würde den Rahmen sprengen. Deshalb möchte ich nur den König Achaschwerosch und die persische Staatskultur vorstellen.

 

Das Buch beginnt mit der Vorstellung des Königs Achaschwerosch. Dabei erinnert uns der Erzähler beständig daran, wie königlich es hier zugeht. In den ersten vier Versen begegnen wir dem Wort König, königlich oder Königreich fünfmal.

 

1,1 Es war in den Tagen des Achaschwerosch

– das ist der Achaschwerosch, der von Indien bis Äthiopien König war, über hundertsiebenundzwanzig Gaue – ,

2 in jenen Tagen, da der König Achaschwerosch auf dem Thron seines Königreichs, dem in der Pfalz Schuschan, saß,

3 im dritten Jahr seiner Königschaft machte er ein Trinkgelage

allen seinen Obern und Dienern, der Heerwache Persiens und Mediens, den Vornehmen und den Obern der Gaue vor ihm,

4 wobei er ihnen den Reichtum seiner Königsherrlichkeit und das Aufgebot seiner Pracht und seiner Größe zu sehen gab,

viele Tage lang, hundertundachtzig Tage.

 

Nachdem das 180-tätige Trinkgelage vorbei war (es dauerte also ein halbes Jahr!), veranstaltete der König ein kleineres aber nicht minder prächtiges Trinkgelage von sieben Tagen.

Der König lässt königlichen Wein servieren und gibt königliche Befehle.

Weiterhin hören wir von königlichen Provinzen, dem königlichen Palast, dem königlichen Tor, den königlichen Dienern, den königlichen Gesetzen, den königlichen Verwaltern, von königlichen Eunuchen, dem königlichen Schatz, der königlichen Krone. Der König zeigt königliche Gunst, ja sogar der König ist königlich.

Haman treibt es mit der Königlichkeit auf die Spitze. In seiner Hoffnung derjenige zu sein, dem der König Ehre erweisen möge, verlangt Haman das königliche Gewand zu tragen und auf dem königlichen Pferd zu reiten. Dabei soll das königliche Pferd die königliche Krone auf dem Kopf tragen.

Das Adjektiv königlich erscheint so oft in dem Buch, dass die Ironie nicht zu übersehen ist.

Denn der so hochgepriesene König ist in Wirklichkeit ein Schlimazel, unfähig selbst zu denken und selbst Entscheidungen zu treffen. Jede Entscheidung in dem Buch ist immer von einer Person veranlasst, nur nicht vom König selbst.

Zuerst sind es die Eunuchen, dann Haman und schließlich Mordechai und Esther, die den König nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Die Megilla demaskiert durch Übertreibung.

 

Als der König sich am siebten Tag des Trinkgelages im Vollrausch befand, oder wie die Megilla es ausdrückt, als vom Wein das Herz des Königs guter Dinge war, da ließ er die Königin Waschti rufen. Sie jedoch weigerte sich vor den besoffenen Gästen des Königs zu erscheinen. Achaschwerosch geriet in Wut. Das erste was er tat war es, sich mit seinen Ratgebern zu beraten, was nun zu tun sei.

Memuchan, ein Ratgeber des Königs sagte folgendes:

»Nicht wider den König allein hat Waschti die Königin gefehlt,

sondern wider alle Obern und wider alle Völker, die in allen Gauen des Königs Achaschwerosch sind,

denn das Begebnis mit der Königin wird zu allen Frauen hinausziehen,

ihre Gatten in ihren Augen verächtlich zu machen,

indem sie sprechen: »Der König Achaschwerosch hat gesprochen, Waschti die Königin vor sein Antlitz kommen zu lassen,

und sie ist nicht gekommen!«

 

Memuchan sagt eine internationale Katastrophe voraus. Alle Frauen in den von Persien kontrollierten Gebieten werden sich gegen ihre Männer auflehnen. Sie werden Waschtis Benehmen als Vorbild ansehen, die Vormachtstellung des Mannes stürzen, zur einer Revolution aufrufen und schließlich ganz Persien in den Abgrund reißen. Der König und sein Hof sind erschüttert, weil eine Frau Nein sagte.

Welche weise Entscheidung wurde also getroffen, um Waschtis Verhalten zu bestrafen und die ganze Welt zu retten?

Ironischerweise ist die Strafe für Waschtis Verhalten nichts anderes, als das was Waschti wollte: Fernzubleiben vom König. Sie wollte nicht kommen, so sollte sie nie wiederkommen.

 

Der König ist nicht nur unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen, er lebt in seiner eignen Realität, im Wolkenkuckucksheim. So lesen wir, niemand darf vor des König’s Antlitz treten, der nicht vom König eingeladen wurde. Ansonsten würde die Todesstrafe verhängt.

Ja sogar die Königin selbst ist davon nicht ausgeschlossen. Wie kann so ein Trottel einen Staat regieren?

 

Die Unfähigkeit des Königs zu regieren wird an einem weiteren Ereignis deutlich, das sich eines Nachts zuträgt, als der König nicht schlafen kann:

6,1 In jener Nacht floh den König der Schlaf.

Er sprach, man solle ihm das Buch der Denkwürdigkeiten, der Begebenheiten der Tage, bringen, und sie wurden dem König vorgelesen.

 

Achaschwerosch beschäftigt sich mit staatlichen Geschäften weil er nicht schlafen kann? Nein, er beschäftigt sich mit staatlichen Geschäften, um wieder einzuschlummern. Was gibt es langweiligeres für einen König, als sich um Staatsgeschäfte zu kümmern?

 

Der König ist inkompetent und blind. So übergibt er ungerührt dem Bösewicht Haman seinen Ring, das Symbol seiner Macht, damit Haman Gesetze erlassen kann.

Am Ende des Buches hat der König nichts dazu gelernt, er übergibt seinen Ring dieses Mal an Esther und Mordechai, damit diese ihre Entscheidungen für sein Reich treffen können.

 

Als Hamans böswilliger Plan, die Juden zu vernichten, ans Licht kommt, ist der König sehr zornig. Er geht in den Garten, um sich ein wenig abzukühlen und nachzudenken. Währenddessen fällt Haman zu Füßen der Königin Esther und bittet um sein Leben.

Als der König wieder eintritt und sieht, wie Haman vor der Königin liegt, missversteht er die Pose. Er denkt, dass Haman die Königin verführen möchte und sagt:

 

Auch noch die Königin zu verführen, in meinem Haus?

 

Verführung war das Letzte, woran Haman denken konnte. Doch wir wissen bereits, der König Achaschwerosch ist kein heller Kopf.

Als das von Haman erlassene Gesetz bekannt wird, sind alle entsetzt, nur der König und Haman setzten sich und trinken zusammen.

Wie verstehen wir diese Geste des Trinkens?

Der griechische Historiker Herodot schreibt in seinem Buch der Historien über die Perser:

 

Die Perser pflegen im Rausch die wichtigsten Angelegenheiten zu verhandeln. Den Beschluss, den man so gefasst hat, trägt der Hausherr, in dessen Haus die Beratung stattfindet, am nächsten Tage, wenn die Beratenden nüchtern sind, noch einmal vor. Ist man auch jetzt damit einverstanden, so führt man das Beschlossene aus, andernfalls lässt man es fallen. Auch wird ein Gegenstand, den sie nüchtern vorberaten haben, in der Trunkenheit noch einmal erwogen.

 

Mit anderen Worten: Beraten, Trinken, Beraten oder Trinken, Beraten, Beraten.

In diesem Sinne: Purim Sameach!