In unserer Parasha treffen sich zwei Brüder, die inzwischen zu Erzfeinden geworden waren, nach langer Zeit wieder: Yaakov und Esaw. Vor Jahrzehnten, als Yaakov das Haus seines Vaters verlassen hatte, schmiedete Esaw Pläne, seinen Bruder zu töten. Die ganzen Jahre über hörten die beiden Brüder nicht voneinander. Yaakov weiß demnach nicht, ob Esaw immer noch die gleichen Hassgefühle ihm gegenüber hegt. Deswegen verwundert es nicht, dass Yaakov vor dem Treffen Angst verspürt:

[Kap. 32 Vers 8, 12] Und Yaakov bekam große Angst […] [und er betete:] Rette mich vor meinem Bruder Esaw […]

Beit haLevi erklärt, dass Yaakov zwar nicht wusste, ob Esaw ihn immer noch töten wollte oder nicht; er hatte jedoch vor beiden möglichen Optionen Angst:

Die eine Möglichkeit war, dass Esaw versuchen würde, Yaakov zu töten, da sich seine Gefühle nicht verändert haben und das wäre ein Grund zur Sorge, da Esaw ein gefährlicher Gegner war. Die zweite Möglichkeit war, dass Esaw seinen Hass Yaakov gegenüber überwunden hatte und er mit ihm als Bruder zusammen leben wollen würde. Und davor hatte Yaakov erst recht Angst, denn in diesem Fall wäre die Gefahr groß, dass Esaw einen schlechten Einfluss auf Yaakov haben würde.

Deswegen hat Yaakov bei seinem Gebet zwei Sachen erwähnt: Rette mich vor meinem Bruder Esaw […] Sprich: rette mich sowohl vor der Gefahr seiner brüderlichen Gefühle als auch vor der Gefahr seiner Feindseligkeit.

Eine bekannte Regel besagt, dass die Erlebnisse unserer Vorväter ein Zeichen für ihre Kinder (d.h. für das jüdische Volk) sind. So heißt es in Beit haLevi, werden sich auch die Nachkommen von Esaw gegenüber den Nachkommen von Yaakov so benehmen wir Ihre Väter, d.h. manchmal feindselig, was den Tod bringen kann, und manchmal brüderlich. Letzteres würde zur Assimilation führen, also zum Tod im spirituellen Sinne. Offensichtlich fürchtete sich Yaakov mehr vor Esaws Brüderlichkeit, denn dafür betete er zuerst.

Daraus können wir folgern, dass Yaakov den spirituellen Tod als schlimmer empfand als den eigentlichen Tod.