Erlauben Sie mir bitte, mich kurz vorzustellen: Mein Name ist Jaron Engelmayer, ich bin Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Mitglied im Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, in deren Name ich auch vor Ihnen stehe und die Ehre habe, dem heutigen Ereignis Anerkennung auszusprechen und zu seiner weittragenden Bedeutung einige Minuten Ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen.

Über die Jeschiwa

Warum gerade ich, einer der jüngeren amtierenden Rabbiner Deutschlands, dafür angefragt wurde, ist mir zunächst eine große Freude und mag vielleicht mehrere Gründe haben.
Zum einen verbindet mich persönlich sehr viel sowohl mit dieser Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und ihrer jüdischen Gemeinschaft, als auch mit der Institution, an der die heute neu ordinierten Rabbiner Moshe Baumel und Shlomo Afanasev gelernt und ihre Ausbildung gemacht haben, der Ronald S. Lauder Foundation in Deutschland. Selber vor Jahren als Lehrer in dieser Organisation tätig, durfte ich da nämlich meine Frau kennenlernen. Da diese zur ersten Zuwandererfamilie in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig gehörte und damals hier wohnhaft war, wurde diese Synagoge während unserer Verlobungszeit auch bald zu einem vertrauten Ort, als ich hier des Öfteren die Schabbat-G“ttesdienste leiten durfte.
Zum anderen gehöre ich als Gemeinderabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln zu den ersten, welche die Früchte der erneuerten Rabbinatsausbildung auf deutschem Boden direkt geniessen dürfen. Ist doch Herr Rabbiner Awraham Yizchak Radbil, welcher zu den zwei ersten Rabbinern zählt, die vor einem guten Jahr die orthodoxe Ordination im Nachkriegsdeutschland empfingen, seit ziemlich genau einem Jahr Assistenzrabbiner unserer Gemeinde, wodurch ich zum „Senior Rabbi“ wurde. Vorerst als Praktikant auf Probe überzeugte der junge deutsch- und russisch-sprachige Rabbiner, sodaß er kürzlich die Festanstellung erhielt und die Kölner Synagogen-Gemeinde hoffentlich noch lange mit seinem Wissen, seinem Können und seinem gewinnenden Wesen bereichern wird. Um den Kreis der „Zufälle“ abzurunden: Auch Rabbiner Radbil hat einen besonderen Bezug zu Leipzig und zu dieser Synagoge, da er hier seine Jugendjahre verbracht hat…
Heute ist ein großer Tag für das Judentum in Deutschland, heute erhalten zwei weitere Rabbinatsstudenten ihre offizielle Ordination. Dies ist insbesondere einer Einrichtung zu verdanken, die dies ermöglicht: der Yeshivas Beis Zion und des damit verbundenen Rabbinerseminars. Es handelt sich um die klassische Form einer Talmudhochschule, in der vorwiegend der Talmud, die mündliche Lehre, und dessen Kommentatoren, sowie die Halacha, die daraus resultierende jüdische Gesetzgebung, studiert werden. Als ich kürzlich Rav Herschel Schechter, Rosch Yeshiva an der Yeshiva University in New York und einer der führenden Rabbinerkapazitäten Amerikas, während seines Besuches in der Berliner Yeshiva danach fragte, wie es ihm gefalle, antwortete er mir, es sei sehr nett, „nu, eine Yeshiva eben“.
Meine Damen und Herren, in dieser lapidaren Bemerkung verbirgt sich ein hervorragendes Kompliment, wenn nicht sogar eine außergewöhnliche Auszeichnung! Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, aus denen diese Yeshiva entstanden ist. Denn in diesem Land hat man noch nicht lange zurück nicht mehr daran geglaubt, daß hier ein lebendiges Judentum neu entstehen könne. Dazu kommt die außergewöhnliche Tatsache, daß in dieser Yeshiva größtenteils Studenten lernen, welche nicht eng verbunden mit der jüdischen Tradition und deren Selbstverständlichkeit im Leben aufwuchsen, sondern welche, um das Judentum neu zu entdecken, sich dafür auf unbekannte und ihnen fremde Pfade begeben mussten. Wenn einer solchen Yeshiva bescheinigt wird, „eben wie eine Yeshiva“ zu sein, so grenzt diese Tatsache an ein Wunder.
Auch unsere Dajanim Rabbiner Hale und Rabbiner Grusman, die Rabbinatsrichter der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, welche vom Oberrabinat in Israel entsandt wurden, um regelmässig Rabbinatsgerichtssitzungen in Deutschland abzuhalten, meinten bei ihrem Besuch in der Yeshiva, hier fühlten sie sich zu Hause, geborgen in der Welt der Torah!

Orthodoxie in Deutschland

Eine solche Institution inmitten von Berlin zu haben, ist nicht nur ein Wunder, sondern auch ein großer Segen für Deutschland und sein Judentum. Es gibt heute, durch die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion bedingt, wieder offiziell über hundert jüdische Gemeinden in Deutschland, in welchen der Durst nach Judentum und dessen geistigen Inhalten stets zunimmt! Dementsprechend ist auch das Verlangen nach geistiger Führung größer und größer. Deutschland braucht mehr Rabbiner! Das Bedürfnis ist vorhanden und wird sich s.G.w. hoffentlich auch in der Realität des Arbeitsmarktes spiegeln, wenn wir wollen, daß aus dem vorhandenen Potential ein starkes, traditionsbewusstes und somit zukunftsträchtiges Judentum erstehen soll!
Deutsch jüdische Geschichte ist auch die Geschichte orthodoxer Rabbiner in Deutschland, denken wir da an große Namen wie Rabbeinu Gerschom, Raschi, Maharam, Rabbiner Hirsch, Rabbiner Hildesheimer, Rabbiner Carlebach, um nur einige zu nennen. Heute sind die meisten der amtierenden Gemeinderabbiner in Deutschland orthodox. Mit ihnen und mit dem Torah-Zentrum der Lauder Jeschurun wird daran angeknüpft und diese Geschichte nun weitergeschrieben.

Übergang von der Jeschiwa zu den Gemeinden (Dwar Torah)

Für Rabbiner Afanasev und Rabbiner Baumel stellt der heutige Tag in verschiedener Hinsicht ein bedeutender Übergang im Leben dar. Einerseits das Offensichtliche, das Erfreuliche: die offizielle Ordination und das Recht, den Rabbinertitel tragen und als Rabbiner amtieren zu dürfen. Andererseits wird gleichzeitig der Schritt von der Yeshiva in die Außenwelt vollzogen. Dies bringt ambivalente Gefühle mit sich, denn während man in der Yeshiva vollkommen in die Welt der Torah eintauchen und deren geistigen Inhalte und Werte ohne Ablenkung in sich aufnehmen kann, erwartet einen die Außenwelt mit vielen weniger geistigen Aspekten. Wahrscheinlich gibt es kaum einen amtierenden Rabbiner, der nicht schwärmerisch verträumt, ja fast nostalgisch, an die wunderbare Zeit in der Yeshiva zurückdenkt, als noch in aller Ruhe ohne Unterlass die Torah studiert und über deren Tiefen sinniert werden konnte… Was für ein Verlust, von dieser schönen und vollkommen Welt Abschied nehmen zu müssen – der Abstieg von den erklommenen geistigen Höhen scheint unvermeidbar angesichts der anspruchsvollen Herausforderungen, denen sich ein Rabbiner tagtäglich zu stellen hat… könnte man meinen!
Doch Rabbi Meir Simcha von Dwinsk sieht die Dinge nicht nur anders, sondern erstaunlicherweise genau umgekehrt! In seinem Werk „Meschech Chochma“ erklärt er im Kommentar zum Wochenabschnitt Noach den Unterschied zwischen Noach – Noa – und Mosche – Moses. Noach, so führt er aus, wird in der Torah zuerst als „Isch Zaddik“ – ein gerechter und vollkommener Mann – bezeichnet. Doch als die Sintflut vorbei war, wird er ein „Isch Haadama“ – ein Mann der Erde – genannt. Dem hingegen treffen wir unseren großen Propheten Mosche zuerst als „Isch Mizri“ – ein ägyptischer Mann – an, was zur damaligen Zeit wohl wenig schmeichelhaft war. Doch kurz vor seinem Tod kriegt er die ehrenhafte Bezeichnung „Isch Ha-E-lokim“ – ein Mann G“ttes. Offensichtilich erfuhr Noach im Verlaufe der Begebenheiten einen Abstieg seiner geistigen Höhe, während Mosche genau das Gegenteil widerfuhr – ein ungeahnter Aufstieg. Womit hing diese Entwicklung zusammen?
Erklärt Rabbi Meir Simcha, daß Noach sich von der Menschheit abgesondert hatte, um für sich alleine G“tt dienen und geistige Höhen erreichen zu können. Gegen jede Logik führte genau dieses Verhalten zum geistigen Abstieg! Mosche hingegen erreichte die höchste Vollkommenheit gerade weil er sich mit Hingabe für die Gemeinschaft einsetzte und bereit war, sich auch den wenig geistig erscheinenden Herausforderungen im Umgang mit dem jüdischen Volk und dessen Bedürfnissen zu stellen! Im Dienste der jüdischen Gemeinschaft zu stehen bedeutet, sich von der Liebe zu dieser leiten zu lassen!

Anerkennung der Smicha, Zusammenarbeit und Segen

Der Schritt von der heilen Welt der Yeshiva hinein in die Welt voller Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft kann nun für die beiden frisch ordinierten Rabbiner vollzogen werden, und damit seid Ihr auch automatisch herzlich von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland eingeladen, den Kriterien entsprechend als Mitglieder in unseren Reihen aufgenommen zu werden, in voller Anerkennung der Ordination und Respekt vor der damit verbundenen Leistung.
Schon seit einigen Jahren erfreuen wir uns eines regen Austausches und einer fruchtbaren und erbaulichen Zusammenarbeit zwischen der Lauder Yeshurun und der ORD, der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Einen besonderen Aufschwung und Intensivierung erfuhr dieses Miteinander durch die erste Ordinierung vor einem guten Jahr und seither. So haben wir damals zum ersten Mal ein gemeinsames Torah-Studium mit Rabbinern und Yeshiva-Studenten durchgeführt, welche dieses Jahr zu einem ganzen gemeinsamen Studientag erfolgreich erweitert wurde und alle Teilnehmer geistig und sozial bereicherte. Es wird wohl kaum Zufall sein, daß die Ordinierung, die uns heute zusammenführt, die Anfangsbuchstaben ORD aufweist.

Auf die Zusammenarbeit mit den neu ordinierten Rabbinern freuen wir uns schon heute. Möge Euch G“ttes Segen auf all Euren Wegen begleiten und in all Euren Taten ruhn –

יהי רצון מלפני אבינו שבשמיים שבכל אשר תפנו תצליחו – ויהי נועם ה‘ א-לוקינו עלינו ומעשה ידינו כוננה עלינו ומעשה ידינו כוננהו.

– es gilt das gesprochene Wort –