Vor etwas über einem Jahr haben wir in meiner Heimatstadt München die erste orthodoxe Rabbinerordination nach 1945 gefeiert. In einer Synagoge, die für mich persönlich das Symbol für die Heimkehr des Judentums in Deutschland ist.

Wo immer ich in den vergangenen Jahren die jüdische Gemeinschaft vertreten habe, habe ich mit eigenen Augen die Früchte unserer Hoffnung und unseres Vertrauens gesehen. Die Hoffnung, in dem Land, welches so viel Leid über unsere Familien gebracht hat, weiter leben zu können. Sowie Vertrauen genau in dieses Land, seine Demokratie und seine Menschen.

Viereinhalb Jahrzehnte nach dem Krieg wurde – ausgerechnet, wie manche denken; ich hingegen meine: konsequenterweise – die Bundesrepublik Deutschland zum Zufluchtsort für viele tausend jüdische Menschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

In meinem Herzen steht die Münchener Ohel-Jakob-Synagoge für jenes Wunder eines lebendigen deutschen Judentums, weil sie für uns die Rückkehr ins Herz der Stadt bedeutete. Hier in Leipzig – wie fast überall in Ostdeutschland – bedurfte es jedoch eines weit größeren Kraftaktes.

1989 zählte die hiesige Israelitische Religionsgemeinschaft nur noch etwa 30 Mitglieder. Heute ist sie mit über 1.300 Mitgliedern die größte Gemeinde Sachsens. Die wahr gewordene Utopie ist kaum irgendwo sichtbarer als hier: Einem einst verwaisten Fleck jüdischen Lebens, der wieder Heimat einer erblühten, vitalen und stetig wachsenden jüdischen Gemeinschaft wurde.

Die Ankunft – im wahren Wortsinne – dieser Menschen aus der Ex-UdSSR hat die letzten Reste Liquidationsmentalität verdrängt und in Deutschland definitiv ein auf Dauer angelegtes Judentum etabliert.

Die Ordination von Rabbinern vervollständigt diesen Prozess. Denn es ist die Thora, es ist unsere Religion, unser gemeinsamer Glaube, der uns Juden – bei allen Unterschieden – überall auf der Welt eint, prägt und letztlich ausmacht.

Ich beglückwünsche von Herzen die beiden Absolventen Rabbiner Shlomo Afanasev und Rabbiner Moshe Baumel zu ihren hervorragenden Ergebnissen und Ihrer heutigen Ordination. Ich freue mich, dass Sie sich entschieden haben, Ihr Leben in den Dienst deutschsprachiger Gemeinden zu stellen. Und ich wünsche Ihnen beiden eine erfüllte, erfolg- und lehrreiche Arbeit in und mit Ihren Gemeinden.

Rabbiner wie Sie, liebe Herren Rabbiner Moshe Baumel und Shlomo Afanasev, geben unserer Gemeinschaft einen stabilen, geistigen Unterbau.

„Der Glaube baut auf und umzäunt“, heißt es im Midrasch. Das orthodoxe Rabbinerseminar zu Berlin knüpft an die Tradition der seinerzeit bedeutendsten Lehrstätte der deutschsprachigen Orthodoxie an.

Das Seminar bietet unserem Glauben ein festes Fundament auf deutschem Boden. Schließlich ist es die Rabbinerausbildung, die unsere Werte aufrecht erhält und lehrt, sie vorzuleben. Werte, die wir andernfalls wohlmöglich längst verloren hätten.

Die Thora – das konnte kein Kritiker mir gegenüber je glaubhaft widerlegen – ist in jedem Moment an jedem Ort lebendig und modern. Sie ist State of the Art für alle Zeit.

„Durchforsche die Thora von Grund auf, denn in ihr ist alles enthalten“, lehrt uns der Talmud. Die Thora umfasst das gesamte universale Wertebewusstsein der aufgeklärten Welt. Sie kennt unsere Bedürfnisse nach Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe, und sie gibt uns das Rüstzeug für ein Miteinander, das diesen Begehren gerecht wird.

Die Wurzel aller Menschenrechte, die Überzeugung, dass jeder Mensch eine Würde hat, erwächst aus dem Gebot der Nächstenliebe – einer Säule der Thora.

Wir brauchen Rabbiner, die ihren Gemeinden ein Leben vorleben, das sich am Wesen dieser Gebote orientiert. Mehr denn je, in einer Welt, die sich sekündlich verändert, in der Sicherheit und Stetigkeit zu relativen Größen werden.

Wir brauchen Rabbiner, die aufzeigen, welcher Weg zu gehen ist – auch wenn sie wissen, dass wir zuweilen davon abkommen werden. Rabbiner, die sich im Wortsinne um die Seelen der Menschen kümmern. Das gilt insbesondere angesichts der speziellen emotionalen Belastung unserer deutschen Gemeinden aufgrund anhaltender Agitation und Bedrohung.

Wir brauchen Rabbiner, die uns helfen und beraten, die richten und lehren. „Such Dir einen Lehrer“, heißt es in der Mischna, „und erwirb Dir einen Freund.“

Wir brauchen Rabbiner, die uns Freunde werden. Die uns – frei nach Albert Einstein – an die Melodie unseres Herzens erinnern, wenn wir sie vergessen haben.

Ein Mensch, der genau dies vermag, sind auch Sie, hoch verehrter Herr Dr. Lauder. Seit über 20 Jahren bauen Sie wie kein anderer unermüdlich und weltweit an der Zukunft des Judentums. Ihr Engagement ist ohne gleichen. Sie sind der Architekt der Wiederbelebung des Judentums in Ost- und Mitteleuropa. Und ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Unterstützung, Ihren festen Glauben und Ihre unerschütterliche Zuversicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ohne Dr. Ronald Lauder gäbe es auch das Rabbinerseminar zu Berlin nicht – ohne ihn würden wir heute nicht hier stehen.

Als Präsident des World Jewish Congress hat Ihre Anwesenheit aber noch eine weitere Dimension. Nach der Schoa plante kein Jude seine Zukunft in Deutschland – auf wie man sagte: blutgetränkter Erde. Die jüdische Welt war sich einig in der Ablehnung eines wie auch immer gearteten deutschen Nachkriegsjudentums. Dass hier eines Tages wieder traditionelle Rabbiner ausgebildet würden, vermochte sich erst recht niemand vorzustellen.

Ganz anders Sie, verehrter Herr Dr. Lauder. Sie haben daran geglaubt, gemeinsam mit all jenen, die diese Idee von Anfang an unterstützt haben.

Ihre Anwesenheit beweist nicht nur den festen Glauben an die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland. Ihre Anwesenheit ist ein Zeichen für dessen heute wieder weltweit anerkannte Legitimität, dessen Selbstverständlichkeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

an Tagen wie diesen zeigen wir, dass es richtig war, zu bleiben.

Ich danke Ihnen.

– es gilt das gesprochene Wort –